Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften
Der Kinderschutzbund Bundesverband begrüßt grundsätzlich die Abschaffung des bisherigen Transsexuellengesetzes. Die Überführung in ein Selbstbestimmungsgesetz, wie sie der vorliegende Referentenentwurf vorsieht, hält der Bundesverband für zielführend. Positiv hervorzuheben ist, dass auch Kinder und Jugendliche berücksichtigt werden: Wenn das von ihnen erlebte Geschlecht von der zugewiesenen und eingetragenen Geschlechtszugehörigkeit abweicht, besteht auch für sie die Möglichkeit der Namensänderung und/oder Änderung des Geschlechtseintrags. Für den Kinderschutzbund Bundesverband steht außer Frage, dass auch Kinder und Jugendliche bei der Auseinandersetzung mit ihrer Geschlechtsidentität respektvoll behandelt werden und sie so die Möglichkeit der Selbstbestimmung erhalten. Gleichwohl ist die Einbeziehung der Sorgeberechtigten bzw. im Konfliktfall des Familiengerichts wichtig. Wie in anderen Belangen auch, ist es wichtig, dass das Kindeswohl der zentrale Orientierungspunkt bleibt.
Der Kinderschutzbund Bundesverband hat die vorliegende Literatur zu den erheblichen psychischen Belastungen und sozialen Herausforderungen, die aus einer Abweichung des Geschlechtserlebens vom Geschlechtseintrag für Kinder und Jugendliche resultieren, zur Kenntnis genommen. Davon ausgehend ist es wichtig, dass im Referentenentwurf explizit Kindheit und Jugend berücksichtigt werden. Der Kinderschutzbund Bundesverband begrüßt daher die Möglichkeit des eigenständigen Geschlechtseintrags bzw. der Namenswahl, auch ohne Änderung des Geschlechtseintrags, für Minderjährige. Dies kann die psychischen Belastungen, denen Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind, reduzieren und das Kindeswohl befördern.
Die meisten Jugendlichen durchlaufen in der Pubertät eine kritische Auseinandersetzung mit sich, ihrem Körper und ihrem Geschlecht. Aber daraus abzuleiten, dass Jugendliche die Möglichkeiten zur Namens- und Geschlechtsänderung inflationär benutzen würden, hält der Kinderschutzbund für unrealistisch. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Option i.d.R. nur dann gewählt wird, wenn der Leidensdruck sehr hoch ist. Auch für den Fall, dass die Betroffenen ihre Entscheidung später im Laufe der Adoleszenz wieder verändern wollen, ist durch die im Entwurf vorgeschlagene Öffnung für eine Rücknahme der Maßnahmen nach § 5 SBGG-RefE eine der Lebensphase angemessene Vorgehensweise.
Es ist dem Kinderschutzbund Bundesverband – auch angesichts der gesellschaftlichen Debatten zu diesem Gesetz – besonders wichtig zu betonen, dass der Schutz von und Schutzräume für betroffene Kinder und Jugendliche unverzichtbar sind und im Fokus des Diskurses stehen müssen. Im Folgenden wird Stellung genommen zu den Artikeln des Referentenentwurfes, bei denen der Kinderschutzbund Bundesverband eine besondere Bedeutung für Kinder und Jugendliche erkennt.
§ 2 SBGG-RefE Erklärungen zum Geschlechtseintrag und zu den Vornamen
Der Kinderschutzbund Bundesverband begrüßt wie oben beschrieben, die Möglichkeit der selbstbestimmten Erklärung zum Geschlechtseintrag, für den Fall, dass die Geschlechtsidentität von dem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister abweicht. Die Regelung in § 2 Abs. 4 SBGG-RefE durch die eine Person, deren Vorname oder Vornamen nicht ihrer Geschlechtsidentität entspricht, gegenüber dem Standesamt auch nur ihren Vornamen oder ihre Vornamen neu bestimmen kann, begrüßt der Kinderschutzbund ausdrücklich. Durch diese weitere Möglichkeit wird ein zusätzliches und passgenaues Mittel geschaffen, dass auch gerade für Kinder und Jugendliche zu einer Erleichterung in einer besonderen Belastungssituation darstellen kann.
§ 3 SBGG-RefE Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag –
Erklärungen von Minderjährigen und Personen mit Betreuer
Der Kinderschutzbund Bundesverband hält es für richtig, dass Minderjährige, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, ihre Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrages und der Vornamen selbst abgeben können, allerdings mit Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter*innen. Sollte mit den Sorgeberechtigten darüber kein Einvernehmen zu erzielen sein, halten wir auch die Einschaltung des Familiengerichts für sinnvoll, da dies den Verfahren bei Entscheidungen im Dissens zwischen Jugendlichen und ihren Sorgeberechtigten entspricht.
Die in den Eckpunkten vorgelegten Verfahren bewegen sich im Sinne der gängigen familiengerichtlichen Praxis. Aus Sicht des Kinderschutzbundes Bundesverband sollten unabhängig davon Entscheidungen auch in diesem Fall bei Minderjährigen so weit wie möglich im Einvernehmen mit den Sorgeberechtigten getroffen werden. Dies ist ein Apell sowohl an die betroffenen Jugendlichen als auch v.a. an ihre Eltern. Diese sollen nicht über die Köpfe ihrer Kinder hinweg, sondern ausgehend von deren Bedürfnissen mit ihnen zusammen entscheiden und so ihre Kinder in einer schwierigen Lebensphase auch über die einzelne Entscheidung hinaus unterstützen und begleiten.
Die UN-Kinderrechtskonvention schreibt vor, dass die eigene persönliche Lebenssituation in Abhängigkeit der Reife und Entwicklung selbstständige Entscheidungen zulassen muss. Eine notwendige Zustimmung der Sorgeberechtigten kann in einem durch die Situation oder ohnehin bestehenden konflikthaften Eltern-Kind-Verhältnis für die Jugendlichen zusätzliche Druck- und Leidenssituationen generieren, die dem Kindeswohl nicht zuträglich sind – darüber sollten sich die Eltern bewusst sein. Dort, wo das Einvernehmen zwischen den Kindern und Jugendlichen und ihren Sorgeberechtigten nicht herstellbar ist, ist es sinnvoll und üblich, dass ab Vollendung des 14. Lebensjahres ein eigenes Antragsrecht im Sinne des § 9 FamFG besteht. Wichtig ist hier, dass Familienrichter*innen und andere Verfahrensbeteiligte einen kindeswohlorientierten und kenntnisreichen Umgang mit dem Fall pflegen.
Der Kinderschutzbund Bundesverband hält allerdings einen flächendeckenden Zugang zu Beratung für unverzichtbar. Dass dies bislang nur in der Gesetzesbegründung ausgeführt wird, ist unzureichend und sollte nachgebessert werden. Sowohl Kinder und Jugendliche als auch ihre Sorgeberechtigten müssen flächendeckend und niederschwellig den Zugang zu adäquater und ergebnisoffener Beratung finden können, um in diesem Prozess eine gute Unterstützung und Begleitung zu erfahren. Dazu bedarf es themenspezifischer Beratung, sowohl bei spezialisierten Beratungsangeboten wie auch einer Qualifizierung bestehender Beratungsstellen und -angebote in der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII. Diese Beratung muss für Kinder und Jugendliche und ihre Eltern, aber auch für Kinder und Jugendliche allein und ohne Kenntnis ihrer Sorgeberechtigten zur Verfügung stehen. Um das zu gewährleisten, muss ein Ausbau eines entsprechenden Beratungsangebotes erfolgen. Elternunabhängige Beratung ist im SGB VIII nach § 8 Abs. 3 ohnehin ein Anspruch, den Kinder und Jugendliche haben.
§ 4 SBGG-RefE Wirksamkeit; Rücknahme der Erklärung
Die Gültigkeit der Erklärung vor dem Standesamt wird erst drei Monate nach der Erklärung gemäß § 2 SBGG-RefE im Personenstandsregister eingetragen und wirksam. Auch wenn dieser Zeitraum gerade für junge Menschen eine lange Frist sein kann, in der die Rücknahme möglich und die Eintragung wirksam wird, hält der Kinderschutzbund Bundesverband die Regelung für sinnvoll.
§ 5 SBGG-RefE Sperrfrist; Vornamenbestimmung bei Rückänderung
Die Sperrfrist von einem Jahr wird vom Kinderschutzbund ausdrücklich begrüßt. Es ist eine Notwendigkeit bei der völligen Selbstbestimmung die Ernsthaftigkeit des Anliegens sicherzustellen. Gleichzeitig ist es gerade mit Blick auf Heranwachsende wichtig, dass die Maßnahmen möglichst gut und ohne große Hürden reversibel sind. Dazu zählt auch die Vornamensänderung ohne Änderung des Geschlechtseintrages.
§ 6 Abs. 2 SBGG-RefE Wirkungen der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen, betreffend Absatz 2 „Hausrecht“
Das Hausrecht ist bereits gesetzlich geregelt. Insofern irritiert es den Kinderschutzbund Bundesverband sehr, dass der SBGG-RefE dieses bestehende Recht nochmals besonders hervorhebt. Dies erweckt den Eindruck, als ob es sich um eine Neuregelung handelt, die es aber nicht ist. Schon jetzt bleibt es Mitarbeitenden in Einrichtungen, z. B. stationären Einrichtungen der Kinder und Jugendhilfe, aber auch offenen Treffs überlassen, für Aufnahmen und Zugänge Kriterien festzulegen und umzusetzen. Dies ist keine leichte Aufgabe. Der § 6 im Referentenentwurf erweckt den Eindruck, es gäbe neue Tatsachen, die eine zusätzliche Abwägung im Rahmen des Hausrechts erfordern. Der Kinderschutzbund Bundesverband befürchtet, dass dies in der Praxis eher zur weiteren Verunsicherung von Mitarbeitenden in Einrichtungen führt und Klarheit im Handeln eher verhindert. Für betroffene Kinder und Jugendliche, kann dies im schlechtesten Fall bedeuten, dass ihnen aus vermeintlicher Vorsicht der Zugang zu Einrichtungen und damit auch die damit verbundene soziale Teilhabe verwehrt bleibt. Diese ohnehin von Diskriminierung und Ausschlüssen betroffene Gruppe könnte durch das Schaffen von Verunsicherungen in der Praxis zusätzliche Einschränkungen erleiden. Da das Ziel des Gesetzes eine Entlastung und Unterstützung dieser jungen Menschen sein sollte, sollte der § 6 an dieser Stelle grundsätzlich überarbeitet werden, um eine zusätzliche Diskriminierung auszuschließen.
Berlin, 30.05.2023
Der Kinderschutzbund Bundesverband e.V.
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Die Stellungnahme finden Sie auch hier als PDF zum Download.