Stellungnahme zu den Eckpunkten für ein Gesetz gegen digitale Gewalt
Die Digitalisierung und die Entwicklung immer neuer Technologien haben unsere Gesellschaft und das Aufwachsen in ihr grundlegend verändert, vor allem im Hinblick auf Kommunikation. Die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche hat jedoch nicht nur positive Auswirkungen, sondern bringt auch neue Formen von Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt mit sich, die sich vor allem in sozialen Netzwerken rasant verbreiten können. Für Kinder und Jugendliche existiert heute kaum mehr ein Unterschied zwischen analoger und digitaler Welt; der digitale Raum ist nicht mehr bloß ein Spiegel der analogen Gesellschaft, sondern die ineinander verwobene Fortführung beider Realitäten. Kinder und Jugendliche sind Teil unserer Gesellschaft und ihr Aufwachsen mit digitalen Medien braucht ein besonderes Augenmerk, um ihre Grundrechte auf Schutz, Teilhabe und Förderung, wie es in der UN-Kinderrechtskonvention steht, durchzusetzen und zu schützen.
Dies betrifft auch Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, denn sie hat zunehmend auch eine digitale Komponente. Mit der Allgemeinen Bemerkung Nr. 25, die im März 2021 vom UN-Kinderrechteausschuss veröffentlicht wurde, bestehen bereits Orientierungshilfen für Staaten und Zivilgesellschaft für die Umsetzung und Wahrung der Kinderrechte im digitalen Raum. Der Schutz vor Gewalt gegen Kinder im digitalen Umfeld ist ein wichtiger Bestandteil davon. Wir begrüßen als Kinderschutzbund Bundesverband also nachdrücklich, dass Betroffene von Gewalt, darunter eine hohe Anzahl von Kindern und Jugendlichen, auch im digitalen Raum gesetzlich gestärkt werden sollen und ihnen die Durchsetzung ihrer Rechte sowie der Vorbeugung weiterer Rechtsverletzungen erleichtert und ermöglicht werden sollen.
Ergänzungen aus kinderrechtlicher Perspektive
Das vorlegte Eckpunktepapier des Bundesministeriums der Justiz umreißt wichtige Aspekte für den Schutz
von Betroffenen digitaler Gewalt, greift aber aus unserer Perspektive an entscheidenden Punkten zu kurz.
- Ausdrückliche Erwähnung von Kindern und Jugendlichen
An keiner Stelle des Eckpunktepapiers ist eine kinderrechtliche Perspektive erkennbar. Zur Anerkennung von Kindern und Jugendlichen als fester Bestandteil unserer Gesellschaft sowie zur Anerkennung ihrer Rechte auf Schutz, Teilhabe und Förderung in dieser Gesellschaft gehört bei gesetzgeberischen Prozessen auch, sie explizit zu erwähnen und ihnen durch ein Mitspracherecht demokratische Teilhabe zu ermöglichen. - Definition von digitaler Gewalt
Digitale Gewalt ist ein sehr breitgefasster Begriff, der viele unterschiedliche Aspekte umfassen kann. Im Eckpunktepapier ist von „der“ digitalen Gewalt als die Verletzung der Persönlichkeitsrechte im digitalen Raum die Rede. Es ist jedoch gerade auch aus kinderrechtlicher Perspektive relevant, das Verständnis von digitaler Gewalt auszubuchstabieren. Denn Gewalt gegen Kinder und Jugendliche hat heute zunehmend auch eine digitale Komponente. Das Internet ermöglicht eine Erreichbarkeit rund um die Uhr, eine Form von Anonymität und löst die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum – Voraussetzungen, die eine permanente Gewaltausübung ermöglichen können. Kinder und Jugendliche erlangen Zugang zu digitalen Räumen, in denen sie verstörende und gewaltvolle Inhalte uneingeschränkt sehen können. Algorithmen und Künstliche Intelligenz können Gewalt im Netz zudem verstärken, indem sie Social-Media-Nutzer*innen traumatisierende Inhalte ungefiltert vorschlagen, oder aber durch Bildmanipulation sexualisierte Gewalt reproduzieren. Zu den unterschiedlichen Formen digitaler Gewalt gehören u.a. Cybermobbing, Hatespeech, Cyberstalking, Identitätsdiebstahl, Cybergrooming, Doxing, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen online,sowie bildbasierte sexualisierte Gewalt wie z.B. das Erpressen bzw. die ungewollte Weiterleitung von intimen Bildern. All diese Formen von Gewalt im digitalen Raum können Betroffene unterschiedlich schwer treffen. Diese unterschiedliche Schwere kann sich vor allem für die Kinder und Jugendlichen potenzieren, die aufgrund verschiedener Diskriminierungsmerkmale wie Geschlecht, Sexualität, Herkunft, Klasse, Religion oder Behinderung einem besonders hohen Gewaltrisiko ausgesetzt sind. Dies sollte bei einer Definition für ein Gesetz zu digitaler Gewalt berücksichtigt werden. - Vorhandene Beratungsstrukturen stärken
Die erste Anlaufstelle für Betroffene von digitaler Gewalt ist meist eine Beratungsstelle, häufig noch bevor sie sich an Ermittlungsbehörden wenden. Zunehmend handelt es sich dabei auch um digitale Angebote von Beratungsstellen, die niedrigschwellig und unbürokratisch über das Netz erreichbar sind. Gerade für Kinder und Jugendliche ist es relevant, transparente Melde- und Beratungsangebote an den Orten, an denen sie potenziell auf Gewalt treffen können, zu etablieren. Damit Kinder und Jugendliche überhaupt einschätzen können, welche Formen von digitaler Gewalt strafrechtliche Konsequenzen haben und wie sie ihre Rechte im digitalen Raum einfordern können, braucht es Aufklärung und Prävention genauso wie altersgerechte und themenspezifische Beratungsstellen, die ihre Lebenswirklichkeit kennen und ernstnehmen. Beratungsstellen, die vor allem auf digitale Gewalt gegen Kinder und Jugendliche spezialisiert sind, bearbeiten damit ein besonders relevantes und sehr ressourcenintensives Thema. Auch im Kinderschutzbund gibt es mit dem Projekt Safe im Recht des Bezirksverbands Frankfurt am Main ein digitales Beratungsangebot für Jugendliche. Das gute Aufwachsen mit digitalen Medien ist ein Grundrecht für Kinder. Dazu zählt auch, dass der Umgang mit digitalen Medien von klein auf im Rahmen von einer flächendeckenden und als Querschnittsaufgabe zu verstehenden Medienkompetenzförderung etabliert wird. Ein Gesetz zu digitaler Gewalt muss also einerseits vorhandenen Strukturen wie die der Beratungsstellen berücksichtigen und ihre zentrale Rolle im Kampf gegen digitale Gewalt anerkennen. Gleichzeitig muss weitere Expertise aufgebaut und mit entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet werden. Denn es braucht auch grundsätzlich Beratungsangebote, wie z.B. in Familienberatungsstellen, die aufgrund der digitalen Durchdringung des Lebens auch die digitale Komponente von Gewalterfahrungen als Querschnittsthema verstehen. Schließlich müssen Aufklärung, Prävention und Medienkompetenz strukturell so verankert und grundlegend finanziert werden, dass sie wirksamen Schutz vor digitaler Gewalt bieten.
Forderungen
Der Kinderschutzbund begrüßt ausdrücklich, dass rechtsdurchsetzungsfreie Räume geschlossen werden sollen. Hinsichtlich der im Eckpunktepapier vorgeschlagenen Umsetzungen gibt es weiteren Diskussionsbedarf, an dem sich die Zivilgesellschaft unbedingt beteiligen sollte. Aus Kinderschutzsicht ist es zunächst unser Hauptanliegen, dass diese von Anfang an mitgedacht werden muss, um die junge Generation zu schützen und sie als Teil der Digitalgesellschaft, die sie zwingend mitgestalten müssen, anzuerkennen. Dabei fordert der Kinderschutzbund, dass eine Kinderperspektive grundlegend mitgedacht werden muss:
- Kinder und Jugendliche müssen explizit als Betroffene von digitaler Gewalt wahrgenommen werden. Sie verbringen einen Großteil ihres Alltags im Netz und sind deshalb einem besonders hohen Risiko von Gewalterfahrungen im digitalen Raum ausgesetzt.
- Digitale Gewalt muss begrifflich definiert werden. Dazu zählen aus kinderrechtlicher Perspektive vor allem Cybermobbing und Hate Speech, aber auch Cybergrooming, welches eine besondere Form der Gewalt gegen Kinder und Jugendliche darstellt. Sie muss daher beim Verständnis von digitaler Gewalt ausdrücklich mitbedacht werden. Es muss zudem in Forschung, vor allem im Dunkelfeld, zum Thema digitale Gewalt, insbesondere auch zu Cybergrooming, investiert werden.
- Vorhandene Beratungsangebote müssen ausgebaut und grundlegend finanziert werden. Dazu zählen digitale Angebote und Anlaufstellen, die Beratung und Aufklärung an Jugendliche gerichtet anbieten.
- Es braucht Aufklärung und Prävention im Bereich (digitaler) Gewalt, inkl. Vermittlung von grundlegendem juristischem Wissen wie z.B. über Persönlichkeitsrechtsschutz, damit Kinder lernen Grenzüberschreitungen auch als solche wahrzunehmen. Darüber hinaus muss Medien und Digitalkompetenz als Querschnittsaufgabe in allen Bereichen verstanden werden.
- Auskunfts- und Anzeigeverfahren müssen niedrigschwellig, kindgerecht und zugänglich gestaltet werden. Kinder und Jugendliche sind besonders vulnerabel und dadurch sehr schutzbedürftig und müssen somit vor einer möglichen Gewalterfahrung durch neue Auskunftsrechte besonders geschützt werden.
- Eine Art Online-Wache auf Plattformen, die ein besonders hohes Risiko für digitale Gewalterfahrungen aufweisen, kann zusätzlich ein sinnvolles Instrument von Hilfsstrukturen im Netz sein.
Berlin, 26.05.2022
Der Kinderschutzbund Bundesverband e.V.
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Die Stellungnahme finden Sie auch hier als PDF zum Download.