Stellungnahme zum Diskussionsentwurf zur Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) der Rundfunkkommission der Länder
Der Kinderschutzbund Bundesverband (DKSB) begrüßt die Initiative der Rundfunkkommission der Länder, den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag zu reformieren und damit verbunden, einen Ansatz des technischen Jugendmedienschutzes niedrigschwellig in der Breite zu verankern. Der DSKB zeigt in der vorliegenden Stellungnahme auf, welche Aspekte er begrüßt und an welchen Stellen er weitere Handlungsfelder und Möglichkeiten zur Ausdifferenzierung sieht.
Grundsätzlich begrüßt es der DKSB, eine technische Jugendschutzlösung auf Betriebssystemebene zu etablieren, die von Jugendschutzprogrammen, Browsern, Apps usw.. ausgelesen werden kann. Dieser Ansatz wird der Tatsache gerecht, dass viele Eltern und Erziehungsverantwortliche mit bestehenden technischen Jugendschutzeinstellungen aufgrund ihrer Komplexität überfordert sind und sie daher häufig nicht nutzen. Wünschenswert wäre aus unserer Sicht ein darüberhinausgehender Ansatz in Form von Jugendschutzeinstellungen by default. Konkret würde dies bedeuten, dass Geräte mit Jugendschutzeinstellungen für die Altersfreigabe „ab 0“ ausgeliefert werden und es für alle anderen Altersstufen einer gesonderten Einstellung bis hin zur Altersverifikation für die Altersstufe „ab 18“ bedarf (“opt-in” und nicht “opt-out”). Auf diese Weise würde sichergestellt werden, dass Geräte automatisch kindersicher sind.
Wir möchten deutlich darauf hinweisen, dass die im Diskussionsentwurf vorgeschlagene One-Button-Lösung nicht als „Allheilmittel“ begriffen werden sollte. Vielmehr gibt es weiterhin Bedarf an Förder- und leicht verständlichen Informationsangeboten für Kinder, Jugendliche, personensorgeberechtigte Personen sowie pädagogische Fachkräfte – einerseits um Kinder und Jugendliche zu befähigen, sich souverän in digitalen Umgebungen bewegen zu können und andererseits, um Erziehungsverantwortliche und Fachkräfte zu befähigen, Kinder und Jugendliche kompetent bei ihrer Mediennutzung zu begleiten. Dazu zählt auch ein Verständnis für Online- und Interaktionsrisiken, denen durch technische Jugendschutzeinstellungen nicht begegnet werden kann. Dabei ist der Dialog zwischen Heranwachsenden und Erwachsenen zu fördern, um diese in die Lage zu versetzen, die digitale Lebenswelt von Kindern zu begreifen.
Insgesamt lässt der aktuell vorliegende Diskussionsentwurf erkennen, dass der Fokus mehr auf einer Fortschreibung des JMStV lag als auf dem Willen, den JMStV grundsätzlich zu reformieren. Dies ist u.a. am Festhalten an Konzepten wie der Sendezeitbeschränkung erkennbar. Ein Ansatz, der zwar für das lineare Fernsehen sinnvoll ist, im Zeitalter von Streaming-Angeboten allerdings seine Wirkung verfehlt, da es hier bekanntlich keine “festen” Sendezeiten gibt, sondern “on demand” geschaut wird. Zudem wäre der JMStV, der bereits im Namen trägt, dass es um den Schutz der Jugend geht, eine gute Gelegenheit, eine Sprache zu wählen, die auch von Jugendlichen verstanden wird. So wäre es im Sinne der Verwirklichung der Teilhaberechte von Kindern und Jugendlichen wünschenswert (Art. 12 UN-KRK i.V.m. Comment No. 25), wenn diese als Expert*innen ihrer Lebenswelt Teil des Er- und Überarbeitungsprozesses des JMStV wären, auch mit dem Ziel, ein für sie verständliches Rechtsdokument zu erarbeiten. (§ 14 JMStV nF könnte entsprechend ergänzt werden.)
Grundsätzlich bleibt auch nach Reform des JMStV die Problematik einer komplexen Rechtslandschaft im Bereich des Jugendmedienschutzes bestehen. Unklar bleibt nach wie vor die eindeutige Abgrenzung zum 2021 novellierten Jugendschutzgesetz, das in seinen Begriffsbestimmungen (§1) neben Trägermedien auch Telemedien als Medien umfasst. Für die Öffentlichkeit sollten Zuständigkeiten entweder klar voneinander abgegrenzt und kommuniziert oder am besten zusammengeführt und verschlankt werden, damit die Verzahnung von Landes- und Bundesrecht verständlicher wird.
Weitere Anmerkungen zu einzelnen Paragrafen:
§ 1 Zweck des Staatsvertrages
Der DKSB begrüßt die Angleichung zum Jugendschutzgesetz durch Übernahme des Schutzziels der persönlichen Integrität. Gleichzeitig greift der Fokus auf Angebote in „elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien“ zu kurz. An dieser Stelle wäre eine Formulierung wünschenswert, die neben Informations- und Kommunikationsmedien zum Beispiel auch Unterhaltungsangebote, e-Commerce-Angebote, Streaming und Spieleanbieter umfasst. Auch Sprachassistenten und vernetzte Spielzeuge (Internet of Toys) sollten berücksichtigt werden.
§ 5 Entwicklungsbeeinträchtigende Angebote
§5 (1)
Der DKSB begrüßt, dass die wesentlichen Gründe für eine Alterseinstufung transparent gemacht werden sollen. Wichtig wäre aus Sicht des DKSB, dass im JMStV definiert wird, in welcher Darstellungsform (z.B. neben verbaler auch in symbolischer Form) die Gründe dargelegt werden sollen. Zentral sollte bei der Darstellungsform sein, dass diese auch für Kinder und Jugendliche leicht verständlich und nachvollziehbar ist. Wünschenswert wäre eine Vereinheitlichung mit den Deskriptoren nach dem JuSchG. Zum anderen sollte definiert werden, was „an geeigneter Stelle“ konkret bedeutet (denkbar wäre z.B. die erste Browseröffnung, auch auf mobilen Endgeräten). Wichtig ist aus außerdem, dass sich die Darstellung optisch deutlich abhebt und durch Kinder intuitiv begreifbar ist.
Ein weiterer naheliegender Schritt, um Angebote für Kinder und Jugendliche der betroffenen Altersstufe nicht wahrnehmbar zu machen, sind Altersverifikationssysteme. Die KJM hat unlängst eine Vielzahl von Altersverifikationssystemen positiv bewertet, darunter auch Systeme, die ausschließlich auf maschinellem Lernen beruhen und ohne den Einsatz von Ausweispapieren auskommen. Der DKSB plädiert vor diesem Hintergrund dafür, Altersverifikationssysteme in den JMStV mit aufzunehmen.
§5 (2)
Der DKSB begrüßt, dass Angebote, die geeignet sind, die persönliche Integrität von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen, als solche kenntlich gemacht werden sollen. Allerdings bedarf es auch hier einer klareren Definition: Soll dies während der Nutzung oder vor der Nutzung des Angebots ausgespielt werden? Inwiefern wird sichergestellt, dass Kinder auch vor situativ auftretenden Interaktionsrisiken gewarnt werden? Wie kann gewährleistet werden, dass Jugendschutzfilter solche Angebote ausblenden? Zudem stellt sich die Frage, weshalb die Warnung auf Risiken beschränkt bleibt, die die persönliche Integrität beeinträchtigen können. Eine Ausweitung auf sämtliche entwicklungsbeeinträchtigenden Angebote wäre an dieser Stelle sinnvoll.
§5 (5)
Auch an dieser Stelle sollte klar definiert werden, wie und wo (deutlich) der Anbieter auf die Kennzeichnung hinzuweisen hat (ggf. mit Verweis auf § 5 Abs. 1 S.1 1. HS TMG – “leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar”).
§ 12 Anforderungen an Betriebssysteme
Der DKSB begrüßt, dass die Jugendschutzvorrichtung in einfacher und leicht zugänglicher Weise (de)aktiviert werden kann. Hinsichtlich der Absicherung ist sicherzustellen, dass Kinder und Jugendliche die Einstellungen nicht selbst leicht umgehen bzw. ändern können. Auch an dieser Stelle wäre ein Altersverifikationssystem denkbar.
Anstelle des Opt-in-Ansatzes wäre wünschenswert, dass die Jugendschutzvorrichtung bei Auslieferung des Geräts by default aktiviert ist, um Kinder und Jugendliche effektiver zu schützen (siehe oben).
Grundsätzlich birgt die An-Aus-Lösung das Problem, dass die Einstellungen für das jeweilige Gerät vorgenommen werden muss, ohne dass differenziert wird, welche Person das Gerät nutzt. Ein effektiver Schutz der Kinder und Jugendlichen setzt also voraus, dass jedes Kind ein eigenes Gerät nutzt, was insbesondere bei jüngeren Kindern und Mehrkindhaushalten nicht vorausgesetzt werden kann. Auch wenn Kind und Eltern sich ein Gerät teilen, würde die Problematik auftauchen, dass Eltern die Jugendschutzeinstellungen zwecks eigener Nutzungsgewohnheiten aufheben. Vor diesem Hintergrund wäre eine Lösung in Form von Profilen/Konten (analog zum Ansatz von Netflix), zwischen de-nen je nach Nutzer in abgesicherter Form gewechselt werden kann, wünschenswert.
In § 12 Abs. 1, letzter HS, könnte die Formulierung um das Wort “einfach” vor “zuvor ermöglichen” ergänzt werden. Eine einfache Einrichtung der Jugendschutzvorrichtung sollte Standard sein.
§12a Anforderungen an Anbieter von Apps
Der DKSB plädiert hier für einen expliziten Hinweis auf suchterzeugende Tools/Dark Patterns, die besonders Jugendliche beeinflussen. Er begrüßen die Verpflichtung zu einer (über alle Shops einheitlichen) auslesbaren Alterskennzeichnung. Für die Einstufung müssen unbedingt auch Interaktionsrisiken wie In-App-Käufe, Lootboxen, Elemente von Glücksspielen, die Förderung exzessiver Nutzung usw. berücksichtigt werden.
§12c Datenschutz
An dieser Stelle ist sicherzustellen, dass die ausgelesenen Daten nicht nur nach jedem Zugriff unverzüglich gelöscht werden, sondern auch während des Zugriffs nicht für andere Zwecke genutzt werden können.
Abschließend würden es der Kinderschutzbund begrüßen, wenn sich der JMStV nF, ggf. unter Nennung der Links auf die UN-KRK (die in Deutschland den Rang eines Bundesgesetzes hat) und auf den dazugehörenden, im letzten Jahr verabschiedeten (juristischen) Kommentar, Comment No. 25 (2021) – “on children’s rights in relation to the digital environment”, beziehen würde. Einmal als Auslegungsquelle, zum anderen, um den Bekanntmachungsverpflichtungen hinsichtlich der Kinderrechte in der digitalen Welt Genüge zu tun (siehe Art. 42 UN-KRK).
Berlin, den 17. Juni 2022