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Position des Kinderschutzbund Bundesverbands zu den Eckpunkten des Selbstbestimmungsgesetzes 2022

In der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz richtet sich der Kinderschutzbund – wie sonst
auch – am Wohl der betroffenen Kinder aus.


Der Widerspruch zwischen dem selbst erlebten Geschlecht und der zugeschriebenen Geschlechtszugehörigkeit bei einigen Menschen ist Ausgangspunkt der Debatte. Dies ist ein Phänomen, das auch bei Kindern eine Rolle spielt. Dieser erlebte Widerspruch, die damit einhergehenden schwierigen Auseinandersetzungen mit sich selbst, Unsicherheiten bei der Persönlichkeitsentwicklung und der häufig konflikthaften Konfrontation mit anderen, beeinträchtigt das Kindeswohl, kann hohe psychische Belastungen erzeugen und führt z.T. sogar zum Suizid.


Das Selbstbestimmungsgesetz versucht diesen Widerspruch aufzulösen, in dem es Menschen eine freie Entscheidung über den Geschlechtseintrag und die Namenswahl allein durch Willensbekundung überlässt. Medizinische Gutachten o.ä., die als zusätzliche Belastung und Entmündigung empfunden werden, würden dadurch obsolet.


Der Kinderschutzbund begrüßt, die Möglichkeit des eigenständigen Geschlechtseintrags und der Namenswahl auch für Minderjährige. Dies kann viel psychische Belastung, denen diese Kinder ausgesetzt sind, nehmen und dient damit einer besseren Entwicklung und dem Kindeswohl. Natürlich haben viele Jugendliche in der Pubertät eine kritische Auseinandersetzung mit sich, ihrem Körper und ihrem Geschlecht. Der Kinderschutzbund geht trotzdem nicht davon aus, dass durch diese Erleichterung eine inflationäre Nutzung des Instruments einsetzt, sondern dies i.d.R. nur dann
genutzt wird, wenn der Leidensdruck sehr hoch ist. Dann ist es auch zu befürworten. Auch für den Fall, dass die Betroffenen die Entscheidung später im Laufe der Adoleszenz wieder verändern wollen, ist durch diese leicht reversible Maßnahme kein größerer Schaden zu erwarten.


Wie oben beschrieben kann der erlebte Widerspruch zwischen dem selbst erlebten Geschlecht und
der zugeschriebenen Geschlechtszugehörigkeit bei einigen Menschen das Kindeswohl beinträchtigen
und kann hohe psychische und damit gesundheitliche Belastungen erzeugen und führt z.T. sogar
zum Suizid. Durch die selbstbestimmte und weniger traumatisierende Möglichkeit der Veränderung
des Geschlechtseintrags können diese Belastungssituationen vermindert werden. In diesem Sinne
schafft das Gesetz hier einen sinnvollen Beitrag.

Beratungsangebote

Die Möglichkeit zu einer ergebnisoffenen Beratung zu rechtlichen Fragen und Folgen, medizinischen
und psychologischen Fragen und Unterstützungsmöglichkeiten hält der Kinderschutzbund für einen
wesentlichen Punkt. Diese Beratung muss für Kinder und Jugendliche und Ihre Eltern, aber auch für Kinder und Jugendliche allein und ohne Kenntnis ihrer Erziehungsberechtigten, offen und flächendeckend zur Verfügung stehen. Um das zu gewährleisten, muss ein Ausbau eines entsprechendes Beratungsangebotes erfolgen. Elternunabhängige Beratung ist im SGB VIII ohnehin ein Anspruch, den Kinder und Jugendliche haben. Dieser Aspekt würde hier nur noch einmal verdeutlicht und durch eine spezifische Beratung erweitert. Die Beratung kann sowohl durch Peer-Verbände als durch andere Beratungsstrukturen und Beratungsangebote erfolgen – für einen Ausbau und eine Stärkung des Angebots wird man auf die Breite der freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe zurückgreifen müssen.

Verfahren

Die in den Eckpunkten vorgelegten Verfahren bewegen sich im Sinne der gängigen familiengerichtlichen Praxis. Aus Sicht des Kinderschutzbundes sollten Entscheidungen auch in diesem Fall bei Minderjährigen so weit wie möglich im Einvernehmen mit den Sorgeberechtigten getroffen werden. Dies ist ein Apell sowohl an die betroffenen Jugendlichen als auch v.a. an ihre Eltern. Diese sollen nicht über die Köpfe ihrer Kinder hinweg, sondern aufgrund deren Bedürfnisse mit Ihnen zusammen entscheiden und so ihre Kinder in einer schwierigen Lebensphase auch über die einzelne
Entscheidung hinaus unterstützen und begleiten. Dort wo so ein Einvernehmen nicht herstellbar
ist, ist es sinnvoll und üblich, dass ab 14 ein eigenständiges Antragsrecht im Sinne des § 9 FamFG
besteht. Wichtig ist hier, dass Familienrichter*innen und andere Verfahrensbeteiligte einen kindeswohlorientierten und kenntnisreichen Umgang mit dem Fall pflegen. Hierzu verweisen wir in einem ceterum censeo auf die Feststellung, dass die Qualifikation der genannten Gruppen hier grundsätzliche verbessert werden müsste.

Sperrfrist

Die Sperrfrist von einem Jahr wird vom Kinderschutzbund ausdrücklich begrüßt. Es ist eine Notwendigkeit bei der völligen Selbstbestimmung die Ernsthaftigkeit des Anliegens sicherzustellen. Gleichzeitig ist es gerade mit Blick auf Heranwachsende wichtig, dass die Maßnahmen möglichst gut und ohne große Hürden reversibel sind. Die gewählte Jahresfrist und die Konzentration auf den Verwaltungsakt (ohne Bezug zu medizinischen Interventionen) kommt beiden genannten Anliegen gut entgegen.

Die Stellungnahme als PDF zum Download finden Sie hier.